Zwischen 2017 und 20024 lud die Evangelische Tagungsstätte Wildbad Rothenburg jedes Jahr eine Künstlerin, einen Künstler oder eine Künstlergemeinschaft ein, als „Artist(s) in Residence“ für drei bis vier Monate in dem ehemaligen Kurhotel unterhalb der mittelalterlichen Stadt zu wohnen und zu arbeiten. Ziel dieses temporären Aufenthalts war es, im Bereich des Wildbads eine dort dauerhaft verbleibende künstlerische Intervention zu setzen, die Teil der landeskirchlichen Kunstsammlung wurde.
Mit seinen imposanten historisierenden Bauten, die sich wie ein Märchenschloss am steilen Hang der weitläufigen Parkanlage staffeln und bis hinunter zur Tauber führen, ist das Wildbad ein Ort von ganz eigenem Charme – ein Ort, der dem Lauf der Zeit und dem Treiben der modernen Welt entrückt zu sein scheint. Dass gerade dort zeitgenössische Kunstwerke entstanden sind – und damit eine hochaktuelle Auseinandersetzung, ein künstlerisches Reagieren auf den umgebenden Raum, den Ort und unsere Zeit – machte den besonderen Reiz des Projekts aus. Was das Rothenburger Artist in Residence-Projekt auszeichnet: Der Schaffensprozess soll sich zwar auf den Ort beziehen, jedoch grundsätzlich experimentell und ergebnisoffen sein. Inhaltlich und formal gibt es keine Vorgaben.
Angestoßen wurde die Idee zu art residency wildbad von den Verantwortlichen der Tagungsstätte; bei der Weiterentwicklung der Konzeption bis zur Umsetzung stand und steht das Kunstreferat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern in enger Kooperation zur Seite. Mit art residency wildbad etablierte sich (bis 2024) in Rothenburg eine „Kunststation“, die der aktuellen Kunstkonzeption der bayerischen Landeskirche genau entspricht: Die Werke, die dort im Rahmen des Projekts entstehen, sollen die Menschen nachhaltig anregen – zur Auseinandersetzung mit dem Werk, mit sich selbst, mit dem Sein. Mit Kirche und Kunst.
Für das Pionierjahr 2017 wählte eine Fachjury das Künstlerduo Böhler & Orendt aus. Die beiden schufen für den Park des Wildbads die Figurengruppe „Rest on the Escape from the Confrontation with the Fucked-up-ness of the Status Quo – Rast auf der Flucht vor der Auseinandersetzung mit der umfassenden Abgefucktheit des Ist-Zustands“.
2018 war Ulrike Mohr aus Berlin Artist in Residence. Die Künstlerin ist für ihre geköhlerten Arbeiten bekannt. In Rothenburg hinterließ sie den „Kubus neben der Tauber“ aus Beton, den sie als Brennkammer benutzte.
2019 war die brasilianische Künstlerin Laura Belém eingeladen. Sie schuf die Klanginstallation „The […] Element“, die in einer aus der Bauzeit des Wildbads stammenden Grotte zu hören ist. Der poetische Text stammt von der Bamberger Lyrikerin Nora Gomringer.
Für 2020 fiel die Wahl der Jury auf die Künstlergruppe Breathe Earth Collective aus Graz, deren Arbeiten sich um Luft, Klimawandel, Umweltverschmutzung drehen. Sie setzten in einer Schneise am Hang des Parks eine leuchtende Wort-Installation. Der Schriftzug „Blick in den Atem der Welt“ ging aus einer öffentlichen Schreibwerkstatt im Wildbad hervor.
2021 verbrachte Benjamin Zuber aus Berlin als Artist in Residence mehrere Monate im Wildbad Rothenburg. Seine Installation „Growing on Suspended Mythologies“ lässt vor der Kulisse der alten, vom Erfinder der Orthese erbauten Kuranlage „nicht nur an ein Denkmal der Vergänglichkeit, Verletzbarkeit, Gebrechlichkeit denken, es könnte sich auch um den kultischen Ort einer zukünftigen Zivilisation handeln, um eine technoide Pflanze, um eine mythologische Abstraktion“, so der Künstler.
2022 hinterließ die aus Südtirol stammende Künstlerin Arianna Moroder unter dem Titel „Paradise Now!“ eine poetische, zweiteilige Arbeit im Wildbad Rothenburg: am Brückengeländer über die Tauber und an der Decke im Durchgang der Wandelhalle zum Fluss. Bei Sonnenschein spiegelt sich dort das Flimmern des Wassers. Arianna Moroders künstlerischer Schwerpunkt liegt im Wandel der Dinge und der damit verbundenen Veränderung des Materials und der Bedeutung des Objekts.
2023 war die Hamburger Künstlerin Alex Hojenski für drei Monate ins Wildbad geladen. Ihre Arbeit mit dem Titel „Durchsichtige Träger*innen“ spannt sich seither netzartig zwischen den Bäumen der Parkanlage (oberhalb der Kegelbahn). Das Kunstwerk kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, von der Seite, von unten und von oben. Es ist eine Aufforderung immer wieder Begrifflichkeiten neu zu denken, die Sichtweisen auf Begebenheiten zu ändern und aus anderen Perspektiven zu erzählen.
Mit dem Verkauf des Wildbades Rothenburg der bayerischen Landeskirche an die Stadtwerke Rothenburg Ende 2024 endete das Projekt art residency wildbad.
Die damit letzte und achte Artist in Residence für 2024 war die in Berlin lebende und arbeitende bildende Künstlerin Zuzanna Czebatul. Für ihre Arbeit in Rothenburg setzte sich die Künstlerin mit der ehemaligen Funktion des Wildbads als Heilbad auseinandersetzen und stellte Bezüge zur antiken Bäderkultur her. Entstanden ist ein Bodenprojekt mit dem Titel „Tide“. Aus pigmentierten und in Form gegossenen Betonfließen entsteht ein Fragment einer fiktiven, antiken Ausgrabungsstätte. Eine mythologische Wassergestalt bewegt sich über die Wiese der Parkanlage (Nahe der Wandelhalle) und stellt Fragen zur Vergänglichkeit, zur Veränderlichkeit von Sprache, Kultur und Gesellschaft.
Alle bislang geschaffen Kunstwerke bleiben aber vor Ort erhalten und können weiterhin besichtigt werden.
Zu jedem art residency wildbad-Projekt ist eine Publikation erschienen. (Ausnahme 2024)