Seibelsdorf, Markgrafenkirche

Wie gut Alt und Neu sich ergänzen, ja steigern können, zeigt die Neugestaltung der Kirchendecke im oberfränkischen Seibelsdorf. Die stuckverzierte Markgrafenkirche aus der Mitte des 18. Jahrhunderts musste 2009 im Innern saniert werden. Im Rahmen eines Künstlerwettbewerbs ergänzte Gerhard Mayer den historischen Kirchenraum um ein zeitgenössisches Werk, für das er 2011 mit dem Kunstpreis der bayerischen Landeskirche geehrt wurde.

2009
Deckenmalerei „Gott-Partikel“
Gerhard Mayer

Im Mittelfeld des Deckenspiegels sind in Anlehnung an die illusionistische Raumöffnung barocker Deckengemälde vier perspektivisch gezeichnete Säulen zu sehen, umspielt von flammenartigen Wirbeln, die zum Zentrum hin lichter werden. Auch in die vier Eckmedaillons fügte Mayer spiralförmig bewegte Motive ein. Sie verstärken die sogartige Wirkung des Deckenbildes. Mayer setzte seinen Entwurf in einer von ihm entwickelten Technik um, die einem strengen Regelwerk unterliegt: Er verwendet für seine Zeichnungen und Gemälde stets eine ellipsenförmige Schablone, an der er die Farbe in unterschiedlicher Strichlänge mit einem Pinsel entlangführt. In der Wandmalerei setzt er die Schablone in nur einer Größe und den Pinsel in nur einer Stärke ein – in Seibelsdorf hat der Strich gerade mal sechs Millimeter. Zu den Regeln gehört auch, dass kein Pinselstrich einen anderen überschneidet und dass keine Punkte, sondern nur Linien entstehen. Dass diese sich nicht berühren, hält die Darstellung beweglich, es entsteht eine ganz eigene Dynamik. Warum Gerhard Mayer gerade die Ellipse als Grundform gewählt hat, erklärte er 2016 in einem Interview: „Das ist natürlich eine Behauptung, die dahinter steht. Ich behaupte, da ist eine Form, die erfüllt alles, was man braucht. Die ist geometrisch, die ist organisch, die ist symmetrisch, die ist asymmetrisch, also umschließt eigentlich alles, was wir aus der sichtbaren Welt der belebten Materie kennen. Deshalb: Ich habe das Optimum gefunden, ich fange jetzt nicht mit dem Dreieck an.“

Mit dem Titel „Gott-Partikel“ zitiert der in Nürnberg lebende Künstler ein zur Entstehungszeit des Deckengemäldes noch hypothetisches Phänomen der Teilchenphysik: das nach dem Physiker Peter Higgs benannte Higgs-Boson, das erklärt, warum Dinge überhaupt eine Masse haben. Mittlerweile ist die Existenz des Teilchens bestätigt – und der britische Forscher dafür mit dem Nobelpreis in Physik ausgezeichnet.

 

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